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OLG Köln, Urteil v. 22. März 2019, Az.: 6 U 193/18
Eine wettbewerbsrechtliche Irreführung kommt auch durch Verschweigen einer Tatsache in Frage.

22. März 2019

Rechtsprechung Wettbewerbsrecht
(Bild: sergign)

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 18.09.2018 verkündete Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 33 O 102/15 – wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
  3. Dieses Urteil und das genannte Urteil des Landgerichts Köln, soweit die Klage nicht zurückgenommen worden ist, sind vorläufig vollstreckbar. Dies gilt hinsichtlich der Unterlassungsverpflichtung nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000 €. Die Beklagte kann die Vollstreckung im Übrigen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten – nachdem die Klägerin die Klage teilweise zurückgenommen hat – über die Frage, ob die Beklagte auf das Fehlen einer Sicherheitsmembran bei einem Angebot hinweisen muss.

Die Klägerin ist ein Unternehmen, das im Bereich der Entwicklung, Herstellung und des Vertriebs von Geräten und Verbrauchsmaterialien im Bereich des Permanent Makeup (abgekürzt: PMU) tätig ist. Gegenstand des Permanent Makeup ist die kosmetische Tätowierung der menschlichen Haut (insbesondere im Gesicht), durch die dauerhaft (permanent) spezielle Farbpigmente mittels spezieller Nadeln in bzw. unter die Haut gebracht werden.

Die für die Tätowierung erforderlichen PMU-Geräte bestehen aus einem Handgerät sowie dem notwendigen Zubehör (insb. Nadeln und Nadeldüsen). Üblicherweise wird dieses Zubehör in mehreren Einzelteilen auf das Handgerät angesteckt.

Im Jahr 2001 entwickelte die Klägerin das erste Nadelmodulsystem, bei dem PMU-Nadeln und eine Nadeldüse in ein Einweg-Modul, dem sog. Hygienemodul, kombiniert werden. Dieses Modul verfügt über eine spezielle innenliegende Schutzmembran aus Gummi, welche einen Rückfluss von Wundflüssigkeiten und Verunreinigungen und damit eine Verschmutzung des Handstücks verhindern soll, was die Beklagte mit Nichtwissen bestritten hat.

Die Hygienemodule der Klägerin sind wie folgt gestaltet:

Technisch sind die beiden Module identisch.

Die Klägerin vertreibt ihre Hygienemodule sowohl selbst, als auch über verschiedene Kooperationspartner, welche diese Module teilweise unter den Marken der Klägerin, teilweise unter eigenen Marken anbieten. Wegen der Einzelheiten wird auf die als Anlagen eingereichten Internetauftritte dieser Anbieter Bezug genommen (vgl. Bl. 119 ff. d. A.).

Die Beklagte betreibt unter der Adresse www.s.-shop.com einen Online-Shop, in dem sie unterschiedliche Produkte aus den Bereichen Kosmetik, Permanent Makeup und Tatooing anbietet. Zu ihrem Produktsortiment gehörte in der Vergangenheit auch das im Antrag zu I (s.u.) abgebildete PMU-Hygiene-Modul. Dieses bewarb sie mit der Aussage: „Nadelmodule sind hygienisch gedichtet. So kann keine Flüssigkeit in den Stift zurückfließen“ (vgl. Anlage K 5, Bl. 37 ff. d. A.). Über eine Sicherheitsmembran verfügen die PMU-Module der Beklagten nicht.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 05.02.2015 mahnte die Klägerin die Beklagte wegen des Vertriebs dieser PMU-Module sowie der Verwendung der dargestellten Werbeaussage ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie zum Ausgleich von Abmahnkosten bis zum 19.02.2015 auf. Wegen der Einzelheiten wird auf die Abmahnung vom 05.02.2015 (Anlage K 8, Bl. 43 ff. d. A.) Bezug genommen.

Hinsichtlich der Werbeaussage gab die Beklagte in der Folge eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Weitergehende Ansprüche wies sie zurück.

Die Klägerin ist der Ansicht gewesen, ihr stehe gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8, 3, 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 5a UWG zu. Hierzu hat sie behauptet, dass ihr Hygienemodul aufgrund der integrierten Sicherheitsmembran hygienisch gedichtet sei, und dadurch ein Rückfluss von Wundflüssigkeiten und Verunreinigungen verhindert werde. Dieses Modul sei am Markt weit verbreitet und bekannt. Demgegenüber sei das Produkt der Beklagten nicht hygienisch abgedichtet, sodass die Gefahr bestehe, dass in das Modul eingebrachte Flüssigkeit bei der Anwendung in das Gerät zurückfließe und dieses kontaminieren könne.

Sie ist der Ansicht gewesen, dass Hygiene, Sterilität und Sicherheit von erheblicher Bedeutung im PMU-Bereich seien. Ihr Hygienemodul genieße daher aufgrund seiner Sicherheitsmembran eine besondere Wertschätzung. Wegen der großen Verbreitung ihrer Produkte vertraue der Verkehr darauf, dass ein Nadelmodul, welches – wie im Falle des Modules der Beklagten – optisch (nahezu) identisch ist, ebenfalls über eine Sicherheitsmembran verfüge.

Das Aufweisen einer Sicherheitsmembran sei daher als ein wesentliches Merkmal i.S.v. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG zu qualifizieren. Dementsprechend sei ein Verschweigen der Tatsache, dass das Produkt der Beklagten – anders als das Original der Klägerin – keine Sicherheitsmembran aufweise, irreführend.

Die Klägerin hat die Beklagte ursprünglich auf Unterlassung des Vertriebs der streitgegenständlichen PMU-Module wegen Verstoßes gegen § 4 Nr. 3a, b UWG, Auskunft, Schadensersatzfeststellung sowie Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch genommen.

Im Schriftsatz vom 07.09.2015 hat sie zusätzlich einen Hilfsantrag gestellt, mit dem sie sich gegen den Vertrieb dieser Module ohne einen aufklärenden Hinweis zum Fehlen einer Sicherheitsmembran wendet. Den ursprünglich geltend gemachten Unterlassungsanspruch hat sie sodann mit Schriftsatz vom 02.03.2016 zurückgenommen.

Die Klägerin hat schließlich beantragt,

I. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr ohne Zustimmung der Klägerin Permanent Makeup-Module der nachfolgend eingeblendeten Art anzubieten, zu bewerben, in den Verkehr zu bringen und/oder diese Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen:

ohne hierbei ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass diese über keine Sicherheitsmembran verfügen, die den Rückfluss von Flüssigkeiten und Verunreinigungen verhindern soll;

II. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft über den Umfang der in Ziffer I. begangenen Rechtsverletzung zu erteilen, und zwar über Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer, der Waren sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren sowie über die Menge der ausgelieferten, erhaltenen und bestellten Waren der in der Ziffer I. genannten Art sowie über die Preise, die für die betreffenden Waren bezahlt und vereinnahmt wurden sowie über die mit dem Verkauf der Produkte erzielten Gewinne;

III. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die vorstehend unter Ziffer I bezeichneten Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.

IV. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.531,90 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.02.2015 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht gewesen, dass für den Verkehr nicht relevant sei, ob ein PMU-Modul über eine Sicherheitsmembran verfüge oder nicht. Dies sei für ihn kein Qualitätsmerkmal. Der Anwender erwerbe das klägerische Hygienemodul nicht aufgrund seiner Abdichtung, sondern weil er gut damit arbeiten könne. Daher vertraue er auch nicht darauf, dass ein PMU-Modul über eine Sicherheitsmembran verfüge.

Die Beklagte hat behauptet, dass ihre Produkte bei der Untersuchung durch den Sachverständigen zerstört worden seien.

Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme in ihrem zuletzt noch rechtshängigen Umfang stattgegeben und die Kosten des Verfahrens zu 1/3 der Klägerin und zu 2/3 der Beklagten auferlegt.

Der Klägerin stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte aus §§ 3, 5a Abs. 2 S. 1, § 8 UWG zu, weil die Beklagte unlauter im Sinne des § 5a Abs. 2 S. 1 UWG eine wesentliche Information, nämlich das Fehlen der Sicherheitsmembran vorenthalten habe.

Die Tatsache, ob ein PMU-Modul über eine hygienische Abdichtung verfüge, stelle eine für den Verkehr wesentliche Information dar. Auf den Internetseiten der Klägerin und den Internetseiten der Drittanbieter, die das Modul der Klägerin teilweise unter ihren eigenen Marken verkauften, werde auf diese Eigenschaft hingewiesen, die auch die Beklagte bei dem von ihr angebotenen Modul beworben habe.

Die Beklagte habe den Verbrauchern vorliegend die Information vorenthalten, dass ihre PMU-Module nicht über eine ausreichende hygienische Abdichtung verfügten. Die mangelhafte Abdichtung der Module der Beklagten ergebe sich aus dem eingeholten Sachverständigengutachten, was die Kammer näher darlegt. Es bestehe eine erhebliche Gefahr, dass sich bei Nutzung des Moduls der Beklagten Krankheiten übertrügen.

Aufgrund des nahezu identischen Aussehens der PMU-Module der Beklagten werde der Verkehr davon ausgehen, dass diese über die gleichen Sicherheitsstandards verfügten, wie die Module der Klägerin. Dieses Merkmal sei dem Verkehr auch bekannt, weil die Produkte der Klägerin am Markt weit verbreitet seien. Dies habe die Beklagte nicht wirksam bestritten. Vor diesem Hintergrund sei von einer relevanten Fehlvorstellung über wesentliche Merkmale des Moduls i.S.v. § 5a Abs. 2 UWG auszugehen.

Die geltend gemachten Annexansprüche seien nach § 9 UWG bzw. § 242 BGB begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte zudem einen Anspruch auf Ersatz ihrer Abmahnkosten in Höhe von 1.531,90 € aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG, weil die Abmahnung berechtigt gewesen sei. Der Zinsanspruch folge aus §§ 286 Abs. 1, 288 BGB.

Gegen dieses Urteil, auf das gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte zu keinem Zeitpunkt das Vorhandensein einer Sicherheitsmembran in ihrem Modul behauptet habe. Dies lege das Landgericht aber offensichtlich seiner Entscheidung zugrunde. Es übersehe die Unterschiede in der jeweiligen Form der Bewerbung der Module. Allein die Klägerin habe damit geworben, dass keine Krankheiten hätten übertragen werden können und ihr Modul über eine Sicherheitsmembran verfüge. Eine solche Werbung habe die Beklagte nicht vorgenommen. Dennoch behandele das Landgericht die Aussagen der Klägerin und der Beklagten gleich, was fehlerhaft sei.

Ein Unterlassungsanspruch der Klägerin bestehe allerdings auch deswegen nicht, weil die Beklagte hinsichtlich der von ihr konkret getätigten Aussagen eine Unterlassungserklärung abgegeben habe. Daher sei die Wiederholungsgefahr entfallen, was das Landgericht nicht erörtert habe.

Es bleibe unklar, auf welcher rechtlichen Grundlage die Beklagte verpflichtet werden könne, über das Fehlen der Sicherheitsmembran aufzuklären, zumal die Beklagte nicht mit einem besonderen Sicherheitskonzept geworben habe und das Gerät der Beklagten ebenfalls – wenn auch schlechter als das Gerät der Klägerin – abgedichtet sei. Aus diesem Grund sei die Werbeaussage der Beklagten nicht falsch.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts seien die Voraussetzungen des § 5a Abs. 2 S. 1 UWG nicht erfüllt. Daher bestünden auch die Folgeansprüche nicht.

Das Landgericht habe keine hinreichende Abwägung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommen. So müsse der Unterschied der Werbung der Klägerin und der Beklagten an dieser Stelle berücksichtigt werden. Es sei kein identisches Gerät mit identischer Werbung angeboten worden. Auch müsse berücksichtigt werden, dass das Gerät der Beklagten hygienisch abgedichtet gewesen sei.

Die Information über die Abdichtung sei auch nicht wesentlich. Auch hier habe das Landgericht die erforderliche Abwägung unterlassen.

Rechtsfehlerhaft sei, dass das Landgericht keine Angaben darüber mache, welches Verkehrsverständnis es seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe. Hierbei müsse auf den Verwender der PMU-Module abgestellt werden und damit auf eine besondere Empfängergruppe. Diese Gruppe erkenne, dass die Sicherheitsmembran fehle.

Die Beklagte sei auch zu der geforderten Information nicht verpflichtet gewesen, weil auch ihr Modul – jedenfalls über einen bestimmten Zeitraum – abgedichtet gewesen sei.

Schließlich habe die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits insgesamt zu tragen, nachdem die Klage unbegründet gewesen sei. Jedenfalls sei die Kostenquote zulasten der Beklagten falsch bestimmt worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Köln vom 18.09.2018, Az. 33 O 102/15 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat – jeweils mit Zustimmung der Beklagten – den Auskunftsantrag (Antrag Ziffer II) sowie den Antrag auf Zahlung der Abmahnkosten in Höhe von 25% nebst anteiliger Zinsen (Antrag Ziffer IV) teilweise zurückgenommen.

Die Klägerin beantragt im Übrigen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil, soweit sie die Klage nicht zurückgenommen hat, unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist, nachdem die Klägerin die Klage teilweise zurückgenommen hat, nicht begründet. Mit Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht angenommen, dass der von der Klägerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch begründet ist.

1. Der Unterlassungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten aus § 8 Abs. 1, 3 Nr. 1, §§ 3, 5a Abs. 1 UWG.

a) Die Klägerin ist als Mitbewerberin gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG aktivlegitimiert, die in das Verfahren eingeführten Anspruche geltend zu machen. Beide Parteien vertreiben u.a. Instrumente für die Tätowierung von Permanentmakeup, sodass der Absatz der Beklagten den Absatz der Klägerin behindern kann.

b) Die Beklagte hat im Rahmen der dem Streit zugrundeliegenden Werbung die aus dem Klageantrag Ziffer I ersichtlichen PMU-Module angeboten, so dass die Beklagte auch eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG vorgenommen hat. Dies ist unstreitig.

c) Die geschäftliche Handlung der Beklagten war nach §§ 3, 5a Abs. 1 UWG unlauter, so dass der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG zusteht.

aa) Ob neben der der Vorschrift des § 5 Abs. 1 UWG die Vorschrift des § 5a Abs. 2 S. 1 UWG zur Anwendung kommt, kann vor diesem Hintergrund offenbleiben. Dies erscheint indes zweifelhaft, weil sich die Werbung der Beklagten nicht an Verbraucher richtet. Vielmehr richtet sich die Werbung jedenfalls in erster Linie an Unternehmer, die ihren Kunden eine Behandlung mit Permanentmakeup anbieten.

bb) Gemäß § 5a Abs. 1 UWG kann auch das Verschweigen einer Tatsache irreführend sein. Bei der Beurteilung, ob dies der Fall ist, sind deren Bedeutung für die geschäftliche Entscheidung nach der Verkehrsauffassung sowie die Eignung des Verschweigens zur Beeinflussung der Entscheidung zu berücksichtigen. Diese Irreführung kann auch im Verhältnis zu sonstigen Marktteilnehmern unionsrechtlich gerechtfertigt sein (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2017 – I ZR 160/16, GRUR 2018, 429 – Knochenzement II)

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Irreführung durch Verschweigen von Tatsachen anzunehmen, wenn der verschwiegenen Tatsache nach der Auffassung des Verkehrs eine besondere Bedeutung zukommt, so dass das Verschweigen geeignet ist, das Publikum in relevanter Weise irrezuführen, also seine Entschließung zu beeinflussen. Diese zu § 5 Abs. 2 UWG 2004 entwickelte Rechtsprechung ist auf den nunmehr geltenden § 5a Abs. 1 UWG übertragbar. Eine Irreführung durch Unterlassen gemäß § 5a Abs. 1 UWG setzt die Verletzung einer Aufklärungspflicht voraus. Den Unternehmer trifft allerdings keine allgemeine Aufklärungspflicht über Tatsachen, die für die geschäftliche Entscheidung des angesprochenen Verkehrs möglicherweise von Bedeutung sind. Er ist nicht generell verpflichtet, auch auf weniger vorteilhafte oder gar negative Eigenschaften des eigenen Angebots hinzuweisen. Maßgebend für die Frage einer Informationspflicht ist, inwieweit der angesprochene Verkehr auf die Mitteilung der Tatsache angewiesen und dem Unternehmer eine Aufklärung zumutbar ist. Macht sich der Marktteilnehmer über den fraglichen Umstand gar keine Gedanken, weil er für seine geschäftliche Entscheidung nicht von Bedeutung ist, liegt eine Irreführung durch Unterlassen nicht vor (vgl. BGH, GRUR 2018, 429 – Knochenzement II, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

cc) Nach diesen Grundsätzen hat das Landgericht mit Recht angenommen, dass die Information, das von der Beklagten vertriebene Modul verfüge nicht über eine Sicherheitsmembran, die den Rückfluss von Flüssigkeiten und Verunreinigungen verhindern soll, eine wesentliche Information im Sinne des § 5a Abs. 1 UWG darstellt. Die angesprochenen Verkehrskreise werden im Rahmen der Entscheidung, ob sie das Modul der Beklagten erwerben, davon ausgehen, dass das von der Beklagten vertriebene Modul über eine Sicherheitsmembran verfügt.

Dieses Verkehrsverständnis legt das Landgericht seiner Entscheidung entgegen der Ansicht der Beklagten mit Recht zugrunde. Auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung kann Bezug genommen werden.

Entgegen der Ansicht der Berufung ist in diesem Zusammenhang nicht erheblich, dass die Beklagte das Vorhandensein einer Sicherheitsmembran nicht behauptet hat und die Werbung der Klägerin und der Beklagten erhebliche Unterschiede aufweisen. Zutreffend geht die Beklagte allerdings davon aus, dass die Form der Anpreisung der jeweiligen Module der Klägerin und der Beklagten erheblich Unterschiede aufweisen. So hebt die Klägerin die Sicherheitsmembran und deren Funktion ausdrücklich hervor, während die Beklagte das Produkt lediglich allgemein als sicher beschreibt (vgl. Bl. 38 d.A.).

Auf diese Bewerbung durch die Beklagte hat das Landgericht aber auch nicht abgestellt. Vielmehr hat das Landgericht angenommen, dass der Verkehr aus anderen Gründen auch bei dem von der Beklagten vertriebenen Modul davon ausgeht, dieses verfüge – wie das von der Klägerin vertriebene Modul – über eine Sicherheitsmembran.

Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass den angesprochenen Verkehrskreisen die Module, wie sie von der Klägerin hergestellt werden, bekannt sind. Diese tatsächliche Feststellung des Landgerichts greift die Beklagte mit der Berufung nicht an. Es sind auch weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen Anhaltspunkte ersichtlich, an der tatsächlichen Feststellung zu zweifeln. Weiter ist das Landgericht davon ausgegangen, dass hinsichtlich des von der Klägerin vertriebenen Moduls den Verkehrskreisen – unabhängig davon, ob dieses unter der Marke der Klägerin oder unter der Marke eines Dritten vertrieben wird – bekannt ist, dass das Modul über eine Sicherheitsmembran verfügt, die ein Zurückfließen von Flüssigkeit und Keimen aus dem Modul verhindert. Diese Annahme hat das Landgericht auch mit der Art und Weise der Bewerbung der Klägerin und der Bekanntheit des Produkts in dieser Form begründet. Auch diese Annahme greift die Beklagte nicht an. Sie ist auch sonst nicht zu beanstanden.

Sodann ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Verkehr aufgrund der äußeren Identität der Module der Parteien auch davon ausgeht, dass das Modul der Beklagten über die gleichen Sicherheitsstandards verfügt, wie das Modul der Klägerin, nämlich eine Sicherheitsmembran, die das Zurückfließen der Flüssigkeiten verhindert.

Diese Feststellung beruht folglich nicht auf der Bewerbung ihres Moduls durch die Beklagte, sondern auf der Annahme, dass der Verkehr das Modul der Klägerin und dessen Sicherheitsstandards kennt und bei einem optisch nahezu identischen Modul in gleicher Weise erwartet.

Das Landgericht hat vor diesem Hintergrund die Werbung der Beklagten und insbesondere die Unterschiede zur Werbung der Klägerin nicht unberücksichtigt gelassen. Es hat seine tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich des Verkehrsverständnisses aber auf die Bekanntheit der Standards der Klägerin und die Annahme gestützt, der Verkehr werde aufgrund der Optik auch von einem identischen Sicherheitsstandard ausgehen.

Als angesprochene Verkehrskreise sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Kosmetiker anzusehen, die die Module der Beklagten erwerben und sodann für die Behandlung ihrer Kunden nutzen. Dies ist nicht zu beanstanden und wird auch von der Beklagten so angenommen. Da diesem Personenkreis – wie dargelegt – die Produkte der Klägerin und ihrer Partnerfirmen bekannt sind, wird eben der angesprochene Verkehr den Rückschluss ziehen, dass eine Sicherheitsmembran vorhanden ist. Dies beruht auf der optisch nahezu identischen Ausführung der Produkte und der Tatsache, dass keine Anhaltspunkte für eine unterschiedliche Ausführung der Produkte vorliegen. Auch die Beklagte hat solche Anhaltspunkte nicht vorgetragen.

Dieses Verkehrsverständnis kann der Senat selbst beurteilen, weil keine besondere Sachkenntnis der angesprochenen Verkehrskreise zu erwarten ist und der Senat als in Wettbewerbssachen erfahrener Senat aufgrund der langjährigen Erfahrung der Senatsmitglieder in der Lage ist, das Verkehrsverständnis insbesondere auch der kleineren Kosmetiker zu beurteilen.

Der angesprochene Verkehr ist auf die aus dem Tenor ersichtliche Mitteilung angewiesen. Denn wenn er aufgrund der Optik von einer bestimmten Ausführung ausgeht, kann er nur mittels aufklärendem Hinweis die Kenntnis über die tatsächliche unterschiedliche Ausführung der Module erlangen. Diese Kenntnis ist für die angesprochenen Kosmetiker von immenser Bedeutung. Denn, wie das Sachverständigengutachten, das das Landgericht eingeholt hat, belegt, besteht bei den Modulen der Beklagten eine erhebliche Gefahr, dass Flüssigkeit und damit Keime in das Handstück zurückfließen, das nicht desinfiziert werden kann. Damit besteht eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit aller Patienten, die bei dem entsprechenden Kosmetiker behandelt werden.

Hiergegen kann die Beklagte nicht einwenden, dass auch bei ihrem Modul ein Schutz bestehe, wenn dieser auch schwächer sei, als der Schutz bei dem Modul der Klägerin. Denn der Sachverständige hat – was auch die Klägerin hervorhebt – festgestellt, dass es bereits nach 330 Hüben zu einem Austritt gekommen ist, was bei einer Anzahl von 50 bis 150 Hüben pro Sekunde nach wenigen Sekunden eintreten kann. Die Gesundheitsgefahr für die jeweiligen Kunden ist damit immens, was, nicht zuletzt wegen drohender Haftungsrisiken, auch ein erhebliches Interesse der Kosmetiker begründet.

Aufgrund der erheblichen Gesundheitsgefahr und dem aufgrund der optischen Identität anzunehmenden Irreführungspotential ist der angesprochene Verkehr damit auf die Information angewiesen, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen.

Schließlich ist der Beklagten die Information zuzumuten. Angesichts der großen Bedeutung der Information und der Tatsache, dass die Täuschung durch die optisch nahezu identische Ausführung der Produkte zurückzuführen ist, sind keine schützenswerten Interessen der Beklagten ersichtlich, von der Information abzusehen.

d) Die für den Unterlassungsanspruch obligatorische Begehungsgefahr in Form der Wiederholungsgefahr ist durch die Erstbegehung indiziert. Entgegen der Ansicht der Beklagten führt die von ihr abgegebene Unterlassungserklärung nicht zu einem Wegfall der Wiederholungsgefahr.

Die Beklagte hat sich strafbewehrt zur Unterlassung der Äußerung verpflichtet, „Nadelmodule sind hygienisch verpackt. So kann keine Flüssigkeit in den Stift zurückfließen.“ (vgl. Bl. 60 d.A.). Auch wenn die Beklagte diese konkrete Aussage im Rahmen der Werbung in Zukunft unterlässt, kann sie das von ihr vertriebene Modul weiterhin ohne den aus dem Tenor der angefochtenen Entscheidung ersichtlichen Hinweis vertreiben. Nach den vorstehenden Ausführungen besteht gerade in dem Vertrieb ohne den Hinweis die Gefahr der Täuschung, ohne dass es dafür auf die Werbeaussage ankommt, zu deren Unterlassung sich die Beklagte verpflichtet hat.

2. Soweit die Beklagte sich gegen den Auskunftsanspruch wendet, bedarf es einer Entscheidung nicht, nachdem die Klägerin die Klage insoweit mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen hat.

3. Der Anspruch auf Schadenersatz besteht, weil auch durch die unzulässige Werbung ein Schaden entstanden sein kann, der nur unter Berücksichtigung des Umfangs der Werbung beziffert werden kann. Auf die Frage, wie die Berechnung des Schadens erfolgen kann, kommt es für den Feststellungsanspruch nicht an.

4. Der Anspruch auf Zahlung der Abmahnkosten ist in Höhe von 75% gerechtfertigt, so dass die Berufung nach der erfolgten Teilrücknahme keinen Erfolg hat. Die Abmahnung richtete sich in berechtigter Weise gegen zwei Verhaltensweisen, die jeweils zu unterlassen waren. Allerdings ging die Abmahnung zu weit:

Die Abmahnung richtete sich gegen die Nutzung der Aussage „Nadelmodule sind hygienisch gedichtet. So kann keine Flüssigkeit in den Stift zurückfließen“. Insoweit bestand der im Rahmen der Abmahnung geltend gemachte Unterlassungsanspruch und der Anspruch auf Zahlung der Abmahnkosten besteht.

Soweit die Abmahnung sich gegen einen Verstoß gegen § 4 Nr. 9 UWG aF richtete, war die Abmahnung indes zu weitgehend, weil ein Anspruch insoweit aufgrund der fehlenden wettbewerblichen Eigenart der Produkte der Klägerin nicht bestand. Es bestand lediglich ein Anspruch in Bezug auf die Irreführung, die allerdings auch bereits Gegenstand der Abmahnung war, die ausdrücklich auf § 5 Abs. 1 UWG gestützt wurde. Die Abmahnung war hier teilweise begründet, so dass die Kosten anteilig (vgl. Bornkamm in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 12 Rn. 1.122) zu erstatten sind. Der Anteil der Abmahnung, der keinen Erfolg hatte, wird mit 25% beziffert.

5. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Kosten erster Instanz ist nicht zu abzuändern. Das Landgericht hat die Kosten nach der Mehrkostenmethode berechnet, was nicht zu beanstanden ist. Dies führt aufgrund der Degression zu der entsprechenden Quote zu Lasten der Beklagten.

Die Kosten der Berufung sind in vollem Umfang von der Beklagten zu tragen, § 97 ZPO. Soweit die Klägerin die Klage teilweise zurückgenommen hat, führt dies nach dem Rechtsgedanken des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu keinem anderen Ergebnis.

6. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist die Revision zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Vielmehr beruht die Entscheidung auf der dargelegten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und einer Beurteilung des Einzelfalls.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.000 € festgesetzt.

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